Vortrag „Historische Vogelstimmen“

bei der JHV des Nordstrander Heimatvereins am 13. März 2015 [stichwortartig]

Meine Damen und Herren,

Freitag, der 13.,
und ein Vortrag von mir, angekündigt „ mit akustischer Untermalung“:

Bevor jetzt alles panikartig den Raum verlässt
eine Entwarnung: Ich werde nicht singen – oder so.

Es geht um die allerersten Tier- und insbesondere Vogelstimmen-
T o n a u f n a h m e n, die
sozusagen für „Otto Normalverbraucher“ je gemacht wurden;

[zuvor hatte es lediglich in Amerika für Forschungszwecke
ein paar Tierstimmenaufnahmen gegeben.]

*

Dass jetzt so ein Vortrag gehalten kann

nachher samt Vogelstimmen, die vor über 80 Jahren aufgenommen wurden,
und d a s ist mit der akustischen Untermalung gemeint,

hat – wie so oft im Leben – mit Zufall oder Fügung zu tun:

Stichworte:

1962
in der 3. Klasse
Religionslehrer fragt mich
nach Vogelbuch
aus Firma meiner Eltern

Er kennt aber nicht: Titel oder Autor
Ich immer schon tierlieb
frage zu Hause und in Firma meiner Eltern nach,
große Enttäuschung:

kein Buch da,
es gibt nur vage Erinnerungen,
allerdings daran, dass das Buch F a r b bilder enthielt (damals selten)
„Vorgang“ lag schon Jahre zurück,
„Recherche“ scheitert somit fast auf ganzer Linie.

37 Jahre später:
Inzwischen habe ich einen PC und Internetanschluss
und ein kleines Buchantiquariat

und viele Antiquariate bieten ihre Bücher per Internet an.

5 Jahre lang werden hunderte von Antiquariaten angemailt:

Einzige bekannte Daten:

[Haben Sie] ein Buch zum Thema Vögel
mit Farbbildern und erschienen v o r 1960
vielleicht mit dem Vermerk, dass es Gießen gedruckt worden war?

2003 dann „Treffer“ und ich bestelle sofort:

Es handelt sich um z w e i Bücher:

Dr. Oskar und Dr. Käthe Heinroth,
Gefiederte Meistersänger (Bände 1 und 2)
Das tönende Lehr- und Hilfsbuch zur
Beobachtung und Bestimmung der einheimischen Vogelwelt,

erschienen im Brühlschen Verlag in meiner Geburtstadt Gießen
und hergestellt in der Firma meiner Eltern

Jetzt also hatte ich nach über 40 Jahren das Werk,
nach dem mich mein lange verstorbener Religionslehrer einst gefragt hatte.

Nachdem ich jetzt die Autoren und den Buchtitel kannte,
konnte ich g e z i e l t meine Recherche fortsetzen

und dafür gab es auch einen besonderen Grund:

Es handelt sich ja nicht „nur“ um ein Buch,

sondern um eine „technische Innovation“,

um ein sogenanntes „tönendes Buch“ –
also um ein Buch mit Schallplatten.

An dieser Stelle ganz kurz ein Rückblick:

Bis zum Mittelalter gab es keine gedruckten Bücher:
Bedeutende Werke wurden meist von Mönchen von Hand vervielfältigt.
Der Buch d r u c k wurde erst um 1450 von Johannes Gutenberg erfunden.

Die ersten gedruckten Bücher enthielten noch keine Illustrationen;

Dazu kam es in größerem Stil erst im 18. Jahrhundert.
Jetzt gab es also neben der Textinformation auch noch die Bild-Information.

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden dann

das Telefon, Mikrofon, die Tonaufzeichnung, das Grammophon“ = der „Plattenspieler“
und schließlich das Radio erfunden

und im Dritten Reich kam dann der Volksempfänger auf.

Vor diesem Hintergrund gab es nun Kontakte zwischen

der Carl Lindström AG – das war zeitweilig das größte deutsche Schallplattenuternehmen –

und dem Direktor des Berliner Zoos, Dr. Lutz Heck.

Von einer Afrika-Expedition brachte er dank des „equipments“
der Lindström-AG nicht nur Textinformationen und Fotos mit,
sondern auch Tonaufnahmen und so entstand das erste „tönende Buch“:

Dank dieser Schallplatte [zeigen] konnte Otto Normalverbraucher
jetzt erstmals hören, wie es klang, wenn beispielsweise ein Löwe brüllte
oder eine Hyäne heulte.

Das Buch samt Schallplatte erschien 1933, war ein großer Erfolg
und bald darauf (1934) [zeigen] erschien als 2. tönendes Buch „Der Wald erschallt“
mit Tonaufnahmen beispielsweise röhrender Hirsche
[beide im Verlag Knorr & Hirth, München].

Was im Wald erschallt, sind natürlich a u c h Vogelstimmen,
aber der Berliner Zoodirektor war kein Vogelkundler.

Allerdings arbeitete einer der bekanntesten Vogelkundler für
den Berliner Zoo: Dr. Oskar Heinroth.
Und so erschien kurz danach die
„Gefiederte(n) Meistersänger“ Bd. 1 und Band 2 als „Neue Folge“,
erarbeitete von Oskar und seiner Frau, Dr. Katharina Heinroth,
beide im Berliner Hugo Bermühler Verlag.
Gedruckt wurden diese beiden Bücher ausgerechnet in Gießen,
in der Vorgängerfirma des Brühlschen Verlages.

Heinroth war nicht nur Vogelkundler, sondern auch der
Leiter und Mitbegründer des Berliner Zoo-Aquariums.

Es kam der 2. Weltkrieg.
Der Bermühler-Verlag ging unter.
Und bei Löscharbeiten nach Bombenangriffen u.a. auf den Berliner Zoo
1945 zog sich Heinroth eine Lungenentzündung zu, an der er starb.

Seine Witwe und Mitautorin des Buches
wandte sich nach dem ,Aus’ des früheren Verlages
nach Gießen, wo das Buch damals hergestellt worden war.
Doch offenbar waren dort die Druckunterlagen im Krieg vernichtet worden.
Offenbar ebenfalls aufgrund von Kriegsschäden konnte
die damalige Druckerei nicht in Farbe drucken
und so kam der Druckauftrag 1955 an die Firma meines Vaters bzw. Großvaters.

Nun wird jedem einleuchten:

Man schrieb erst das 10. Jahr nach Kriegsende.
Wer damals überhaupt vom deutschen „Wirtschaftswunder“ profitierte,
dachte eher an den Urlaub in Italien, ans eigene Auto,
an ein halbes Hähnchen statt Bratwurst
– und nicht unbedingt an vogelkundliche Bücher.

Die Neuauflage dieses Werkes erschien somit in einer k l e i n e n Auflage.
Die meisten Exemplare der a l t e n Auflage waren dem Krieg zum Opfer gefallen.
Die damaligen Schelllackplatten der ersten Auflage konnten leicht zerbrechen.
Für die neue Auflage hatte man zwar auf Vinyl-Platten umgestellt, aber:
-1- massiver Kratzer und die Nadel bzw. der Saphir bleibt beim Abspielen hängen,
selbst die neuen Platten also wurden leicht unbrauchbar.

Kurzum: Die neuen Vinyl-Platten waren dank kleiner Stückzahl
gar nicht beschaffbar, als ich die Suche danach begann,
und die vorherigen Schelllackplatten waren oft beschädigt, zerbrochen
– und selbst dann extrem teuer.
Ich konnte sie aber beschaffen [zeigen].

Würde man diese -80- Jahre alten Platten abspielen,
dann würde man außer Knacken kaum etwas hören.

Ich war damals allerdings für den WDR und für den HR tätig.
Dort konnte man – und war auch bereit dazu – modernste Technik einsetzen:

In einem Spezialverfahren wurden die Platten abgespielt
und die Daten s o umgewandelt, dass man davon eine CD brennen konnte.

Das ging natürlich nur bei Schellackplatten, die nicht zerbrochen waren.

Bei diesem Dilemma half mir nun Professor Günter Tembrock,
der das Tierstimmenarchiv der Humboldt-Univ. in Berlin aufgebaut hat.

Der stellte nun die noch fehlenden Aufnahmen zur Verfügung.

Und so konnte vor 11 Jahren dieses kleine Buch [zeigen] erscheinen
samt aller dieser historischen Vogel- und Tierstimmenaufnahmen
70 Jahre später erstmals auf CD.

Bevor wir jetzt einige dieser Aufnahmen anhören,
noch ein paar Hinweise:
Heute gibt es leistungsfähige Aufnahmegeräte mit ein paar hundert Gramm Gewicht.

Damals brauchte man eine Ausrüstung, die 800 (!) kg wog und
mit Lastwagen in den Wald oder auf die Wiesen transportiert werden musste.
Mit etwas Pech waren aufgrund des Lärms die Vögel dann weg…

Man konnte auch nichts drahtlos übertragen und aufzeichnen,
es mussten vom Mikrophon zum Aufnahmegerät auf dem LKW Kabel
kreuz und quer durch den Wald, über Bäche etc. verlegt werden.

Für ein paar Minuten Tierstimmenaufnahmen, die verwertbar waren,
nahm man über 50 Stunden lang Tierstimmen auf.

War die Aufnahme „im Kasten“ und die Schallplatte fertig,
dann musste man mit der N a d e l am Grammophon die richtige Rille
treffen, um gezielt eine Tierstimme anzuhören.

Und nach 1-maliger Benutzung musste die Nadel gewechselt werden!!!

Bei der CD klickt man jetzt einfach auf Nr. 21 und dann hört man
wunderbar den Gesang einer Nachtigall.

Die kennt man vielleicht vom Gesang her,
aber die Nachtigall ist letztlich so unscheinbar:
Die würde man kaum in freier Natur erkennen.

Hier deshalb eine ausgestopfte Nachtigall,
die man sich jetzt ganz genau in aller Ruhe anschauen kann.
Und als -1- weiteres Beispiel:
Hier ein Wintergoldhähnchen,
der kleinste Vogel in Europa.

Jetzt also ein paar Original-Vogelstimmenaufnahmen,
aufgenommen noch vor dem 2. Weltkrieg.

Und in eigener Sache der Hinweis:
Das hier ist einer von mehr als 30 Vorträgen,
die ich bei Interesse jederzeit und nahezu überall halten könnte.

Und jetzt viel Vergnügen mit den historischen Vogelstimmenaufnahmen.

Eventuelle Ergänzung (bei erkennbarem Interesse):

Meine Damen und Herren,

irgendjemand hat applaudiert.
D e r ist schuld, dass ich nun kurz noch etwas nachtrage.

Letztlich gehen alle Vögel auf den sogenannten Urvogel zurück,
den Archaeopteryx.

S o [Buch zeigen] etwa sah der aus.

Zwischen 1874 und 1976 wurde bei Eichstätt einer der ersten
und zugleich der besterhaltene dieser Urvögel entdeckt.
Der Finder bekam eine Kuh im Wert von damals umgerechnet etwa 100 €.
Für umgerechnet etwa 10.000 € wurde dieser Urvogel später
an das Naturkundemuseum in Berlin verkauft…

Vor -10- Jahren stieß ich wieder einmal auf ein Beispiel,
wie viel mitunter Politik und Forschung miteinander zu tun haben:

Ich falle mit der Tür ins Haus – und meine das nicht „deutschtümelnd“:

Ein Deutscher findet diesen Urvogel in Deutschland und
die Erstbeschreibung stammt von einem Deutschen: von Carl Vogt,
übrigens gebürtiger Giessener wie ich…
Diese Arbeit wurde jedoch nur auf französisch veröffentlicht
und später auch ins Englische übersetzt. Auf deutsch erschien sie nicht.
Warum???

Der Giessener Professor saß als Vertreter der „Linken“ im
sogenannten Paulskirchen-Parlament und war einer der -5- „Reichsregenten“.
Nach dem Scheitern der Revolution von 1848 musste er fliehen;
in den französisch-sprachigen Teil der Schweiz.
Als er den Urvogel untersuchte, erschien seine Arbeit d e s h a l b
auf französisch (1879); und da die Arbeit bedeutend war,
später auch in englischer Sprache (1880).

Carl Vogt saß sozusagen zwischen allen Stühlen.
Da er für Charles Darwins Abstammungslehre eintrat,
nannten ihn seine Gegner den „Affen-Vogt“ und
da er auch noch „links“ war, nahmen ihn viele seiner Fachkollegen nicht ernst.

Für Karl Marx dagegen war Carl Vogt lediglich ein
„kleinuniversitärer Bierpolterer“ – und auch das war seinem Ruf
nicht gerade förderlich.

2005 habe ich deshalb Carls Vogts Erstbeschreibung des Urvogels
vom englischen professionell ins Deutsche übersetzen lassen und veröffentlicht.

Und so gibt es nun eine „Neuerscheinung“ eines Forschers,
der bereits vor 120 Jahren verstorben war…