Warum man den „Darwinismus“ statt auf den Galapagos-Inseln auch bei uns vor der Haustüre hätte erkennen können
Meine Damen und Herren,
ganz bewusst wähle ich einen ungewöhnlichen Einstieg in das Thema.
Das hier ist – er heißt eben so – ein Seidenschwanz.
Wie Sie sehen können: Er ist nur knapp 20 Zentimeter groß und – das kann man allerdings nur ahnen, denn der hier sitzt ja auf einem kleinen Ast mit Standfuß – er wiegt nur 50 bis 60 Gramm.
Diesen Seidenschwanz hier kann man aus nächster Nähe sehen; er ist ja tot, ausgestopft und kann nicht wegfliegen; und das w ü r d e er tun, wenn man ihm zu nahe kommt.
In der freien Natur – der Vogel kommt bei uns v o r – können Sie ihn also nur aus einiger Entfernung sehen: Dann sieht man aber n i c h t diese Federhaube, die kann der Vogel als Imponiergehabe teilweise aufrichten, und auch nicht die bunten Federn hinten am Schwanz.
Also hält man dieses Tier für einen unscheinbaren Vogel.
Jetzt habe ich schon erwähnt: Der Seidenschwanz kommt bei uns vor; ist aber selten; normalerweise. Normalerweise heißt in diesem Fall: Von Zeit zu Zeit kommt dieser Vogel m a s s e n w e i s e dort vor, wo man ihn sonst kaum einmal sieht. Das hat vermutlich etwas mit dessen Hauptnahrung zu tun, der Eber-Esche bzw. deren Früchte; aber so ganz ist das noch nicht erforscht.
Ein kleiner Gedankensprung: Wenn Forscher heutzutage zum Beispiel einen Welt-Klima-Bericht vorlegen, dann enthält eine solche wissenschaftlich belegte Studie Fakten, die man als klare Vorzeichen werten muss – für das, was uns droht, wenn der Mensch auf der Welt so weitermacht wie bisher.
Im Mittelalter ging man mit dem Begriff „Vorzeichen“ ganz anders um: Was man sich nicht erklären konnte, beispielsweise das plötzlich massenhafte Auftreten dieses Vogels, das wurde als Vorzeichen gesehen, als böses Omen. Und so wurde der Seidenschwanz als Sterbe-Vogel, sogar als Pest-Vogel, in Misskredit gebracht.
Hätte man g e n a u e r hingesehen, dann hätte man sich fragen müssen: Warum sollte ausgerechnet ein so harmloser Nicht-Fleisch- oder Aas-, sondern Beeren-Fresser und noch dazu ein so hübscher kleiner Kerl als böses Omen gelten???
Es mag kurios klingen, wenn ausgerechnet jemand wie ich, der so schlecht sieht, das sagt:
Man muss eben bei allem und jedem g e n a u hinsehen!
Und jetzt sehen wir uns einmal gemeinsam diese beiden anderen heimischen Vögel genauer an: Der eine ist ein Kernbeißer und der andere ein Fichten-Kreuzschnabel. Beide gehören zur Familie der Finken, Sie erinnern sich: Amsel, Drossel, F i n k und Star… Aber bei „Fink“ denkt man zunächst an den weit verbreiteten Grün-Fink, den Buch-Fink und an den wohl (neben der Blauracke*)) buntesten Vogel hierzulande,den Distel-Fink. [Gegebenenfalls zeigen: Tafel 6 aus „Unsere einheimischen Vögel, Gera 1909]
Die habe ich nicht als ausgestopfte Tiere, aber hier auf den Abbildungen können Sie sehen:
Grün-, Buch- und Distelfink (a.a.O., Tafeln 8 und 9) haben ganz „normale“, unauffällige Schnäbel. Und betrachten Sie jetzt einmal die Schnäbel dieser beiden Vögel: Der Kern-Beißer – daher hat er seinen Namen – hat einen derart riesigen und beißkräftigen Schnabel, dass er damit die harten Kerne von Früchten knacken kann; und der Kreuz-Schnabel hat diese ungewöhnliche Schnabelform, weil man damit viel besser an die Samen von Fichtenzapfen kommen kann.
Und das bedeutet: Die Evolution hat also bei uns vor der Haustüre Finken hervorgebracht mit ganz verschiedenen Schnäbeln: „normale“ Schnäbel wie bei Grün, Buch- und Distelfink¸ gekreuzte Schnäbel wie beim Fichten-Kreuzschnabel und riesige, enorm beißkräftige Schnäbel beim Kernbeißer.
Und damit sind wir mitten drin in einem der spannendsten Kapitel der Naturforschung – und zugleich der Menschheitsgeschichte.
Ausgerechnet Finken soll es gewesen sein, die Charles Darwin zu seinen bahnbrechenden Erkenntnissen und zur Entwicklung der Evolutionstheorie veranlasst haben. Sie haben meine Skepsis sicher herausgehört: Ich melde an der Darstellung meine Zweifel an.
Doch wenden wir uns erst einmal den unstrittigen Tatsachen zu: Der in Dublin/Irland geborene anglikanische Erzbischof James Ussher (1581-1666) hatte eine „Weltgeschichte“ verfasst und anhand der genealogischen Angaben in der Bibel zu den Nachkommen von Adam und Eva – aus heutiger Sicht absurder Weise – festgelegt: Der liebe Gott hatte die Welt
am 23.Oktober 4004 v. Chr. erschaffen! – Es gibt übrigens noch immer religiöse Eiferer, die diesen oder ähnlichen Unsinn heute noch glauben. Nebenbei bemerkt: Ich habe mich damit in zwei Büchern befasst; aber dazu gibt es einen anderen Vortrag.
Deshalb kommen wir jetzt zurück zu dem von mir hoch geschätzten Charles Darwin, der übrigens auch ein hervorragender Botaniker war [zeigen: Sie sehen hier sein Werk über Insectenfressende Pflanzen und über Orchideen, das erste ist sogar in meinem Verlag als Neuauflage erschienen]. – Dies nur als kurzer Hinweis, damit niemand glaubt, ich hätte irgendetwas gegen Darwin…; ich habe sogar eine ganze Menge Verständnis für ihn.
Denn: Wie viele andere Forscher auch, stand Darwin bei seiner Forschung vor einem damals fast unlösbaren Problem. Was die Kirche damals vertrat, das war quasi unumstößlich. Und da ja die Welt angeblich am 23. Oktober 4004 v. Chr. geschaffen worden war, konnte zu Darwins Zeiten – der lebte von 1809 bis 1882 – „logischer Weise“ nichts auf der Welt älter sein als rund 6.000 Jahre… Fand man beispielsweise einen solchen Saurier-Zahn, dann stand man vor einem Problem: Zwar konnte nichts auf der Welt älter sein als rund 6000 Jahre; aber dieser mehr als 10 cm lange Saurierzahn hier ist mindestens 66 Millionen Jahre alt…
[Wenn Sie möchten, kann ich auf diesen Mosasaurus später noch näher eingehen; er ist das „wert“…] Außerdem musste man sich fragen: Warum hatte der liebe Gott vor vermeintlich maximal rd. 6000 Jahren ein derartiges Tier erschaffen? Warum war dieses Tier ausgestorben und warum fand man so wenig versteinerte Überreste davon? So starke Knochen eines so großen Tieres hätten doch rd. 6000 Jahre ganz gut ,überstehen’ müssen.
Vor ä h n l i c h e n Fragen stand unser guter alter Darwin, als er mit der „Beagle“ [Brief-marken zeigen] von 1831 bis 1836 fast 5 Jahre lang auf einer Forschungsreise war, u.a. auf den legendär gewordenen Galapagos-Inseln… Das konnte der sich leisten, denn Darwin lebte als finanziell gut gestellter „Privatier“. – Genau auf diesen Aspekt komme ich nachher noch einmal zurück.
Was war nun sozusagen die „Ausbeute“ dieser beinahe 5-jährigen Expedition?: Fast 4.000 Häute, Felle, Knochen und Pflanzen, weitere rd. 1500 Präparate in Spiritus und rd. 2000 Seiten Notizen. Und – ich sage ganz klar: das ist meine T h e s e ! – genau in dieser Material- F ü l l e lag das Problem. Mit der Auswertung all dieses Materials und seiner Notizen
war Charles Darwin j a h r e l a n g intensivst beschäftigt.
Und jetzt komme ich wieder zurück auf mein Credo: Man muss ganz genau hinsehen!: Erst 1859, also nach über 20 Jahren, veröffentlichte Darwin sein Werk über die Entstehung der Arten. Mit den V ö g e l n auf den Galapagos-Inseln hatte er sich gar nicht intensiv beschäftigt, aber die für die Evolutionstheorie so wichtigen Finken auf den Galapagos-Inseln sind nach Darwin benannt. Da stellt sich die Frage: warum?
A n g e b l i c h hatte Darwin den entscheidenden Impuls für seine Evolutions-Theorie durch die Erkenntnis bekommen, hier natürlich vereinfacht dargestellt: Aha! Auf den rund 100 kleineren und größeren Galapagos-Inseln gibt es mehrere verschiedene Finkenarten. Dann wird es wohl irgendwann einmal -1- Finkenart gegeben haben, die sich dann auf den verschiedenen Inseln mit unterschiedlichem Nahrungsangebot unterschiedlich entwickelt hat. Folglich hat der liebe Gott nun doch nicht für jede einzelne Insel verschiedene Finken erschaffen,sondern die verschiedenen Arten haben sich nach und nach sozusagen von sich aus entwickelt.
An dieser Stelle ganz kurz ein rein persönlicher Hinweis: Eine Evolution solcherart ist m.E. durchaus mit der Religion vereinbar: Irgendwann kann ja der „Urknall“, mit dem unser Universum entstand, durchaus nach dem Plan Gottes entstanden sein; und dass sich dann im Laufe der Jahrmillionen die unterschiedlichsten Lebensformen entwickelt haben, bedeutet m.E. auch keinen Widerspruch: Dass es Naturgesetze gibt und dass sie so sind, wie sie – nach unserer derzeitigen Erkenntnis – sind, das kann ja ebenfalls dem Schöpfungsplan Gottes entsprechen. – Jetzt aber zurück zum belegbaren Geschehen:
Machen wir uns nochmals bewusst: Charles Darwin hatte seine Forschungsreise u.a. zu den Galapagos-Inseln von 1831 bis 1836 unternommen. Es gibt – wie schon erwähnt – Hinweise darauf, dass sich Darwin nun gerade für die Vögel auf den Galapagos-Inseln n i c h t sonderlich interessiert hatte. Jemand anders hatte das getan: Der zunächst nur Tier- M a l e r , dann Vogel k u n d l e r John Gould (1804 – 1881). Und d e m hatte Darwin nach seiner Rückkehr die Finken von den Galapagos-Inseln zur genauen Untersuchung übergeben. Und G o u l d war es, nicht Darwin!, der erkannte, dass die Finken von den Galapagos-Inseln eine eigenständige Gruppe darstellen. Und es war dieser John Gould, der 1837 diesen Bericht hier [zeigen] über die Galapagos-Finken aus Darwins Sammlung veröffentlicht hatte. – Übrigens: Dieser m.E. bunteste Vogel der Welt, die Gould(s)-Amadine [Briefmarke und Texte zeigen, bei Interesse erläutern], ist nach diesem Herrn Gould benannt; genau genommen: Er hatte diese „Pracht-Finken“ zwischen 1838 und 1840 in Australien entdeckt und sie als charmanter Mann nach seiner Frau benannt. – Doch auch j e t z t noch, – nach Goulds Veröffentlichung
über die Vögel auf den Galapagos-Inseln – findet sich nach meiner Kenntnis k e i n Beweis, dass Darwin aufgrund der „Darwin-Finken“ und seiner angeblichen Rückschlüsse daraus bereits damals den Darwinismus erkannt hätte.
Aber a n g e b l i c h soll das so gewesen sein; und aus reiner Angst vor der Kirche und anderen etwaigen Kritikern (s)einer Evolutionstheorie soll der große Charles Darwin dann über 20 Jahre lang seine angeblich bereits gewonnenen Erkenntnisse für sich behalten haben.
An dieser Stelle muss ich noch einen Zeitgenossen von Darwin benennen und Sie werden gleich verstehen, warum: Ern(e)st Dieffenbach (1811 – 1855), übrigens gebürtiger Giessener wie ich, war ein Forscher, der heute fast völlig vergessen ist, aber eigentlich einen kompletten eigenen Vortrag „wert“ wäre. – An dieser Stelle nur so viel: Das erste größere Werk, aus dem man auf deutsch von Darwins Forschungsreise mit der „Beagle“ erfuhr, [das ist dieses extrem seltene Werk] stammt aus der Feder von diesem Herrn Dieffenbach [übrigens ist in meinem Verlag auch eines seiner Werke neu herausgebracht worden]. Dieses Buch hier ist 1844 erschienen: Es handelt sich um die Übersetzung von Darwins eigenem Werk über seine Forschungsreise. Und Dieffenbach stand in engem Kontakt u.a. mit Darwin. Wenn also in Dieffenbachs Übersetzung etwas Falsches gestanden hätte, dann wäre das Buch m.E. fraglos so nicht erschienen. Und jetzt lese ich Ihnen einmal vor, was der Darwin-„Vertraute“ Dieffenbach im Jahre 1844 über die „Darwin-Finken“ schrieb bzw- aus Darwins eigenem Text übersetzt hatte; wohlgemerkt: Nach Darwins Rückkehr von seiner Expedition mit der Beagle waren zu diesem Zeitpunkt bereits 5 Jahre vergangen und es war inzwischen Goulds wichtige Publikation über die Galapagos-Finken erschienen: Doch es heißt in Teil 2 von Darwins bzw. Dieffenbachs Buch auf Seite 154f. lediglich: [„wörtlich zitieren: …]
Sie sehen: Die verschiedenen Finken-Arten auf den Galapagos-Inseln werden zwar erwähnt und auf Goulds Forschung wird hingewiesen. Aber n i c h t s deutet darauf hin, dass Charles Darwin bereits zu diesem Zeitpunkt die Bedeutung dieser Finken für die Evolutionslehre erkannt hatte.
Und jetzt kommen wir nochmals zu einem anderen Forscher, dessen Namen Sie möglicherweise noch nie gehört haben: Alfred Russel Wallace (1823–1913). Und ich komme dabei, wie angekündigt, a u c h auf den Punkt zurück, dass Darwin als finanziell gut gestellter Privatier forschen konnte. Wallace hatte da weniger Glück. Auch das wäre einen
eigenen Vortrag „wert“. Hier nur so viel: Wallace war wie Darwin ein genialer Forscher, hatte aber anders als Darwin kein Geld und war vergleichsweise unbekannt. Und dass er im Alter später eine Rente bezog, das hatte Wallace unserem Charles Darwin zu verdanken. – Alles das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man sich jetzt mit dem damaligen Geschehen befasst: W a l l a c e hatte den D a r w i n i s m u s entdeckt, jedoch sein Manuskript an Darwin geschickt. Und j e t z t veröffentlichte Darwin – „blitzartig“ nach angeblich über 20 Jahren Zögern – sein Werk über die Entstehung der Arten…
Nebenbei bemerkt: Da stellt sich die Frage: Angeblich hatte Darwin seine Erkenntnisse schon seit über 20 Jahren, hatte sie aber aus Angst geheim gehalten. Weshalb war denn diese angebliche Angst plötzlich weg, dass Darwin j e t z t seine Erkenntnisse veröffentlichte??? An der Lage der Dinge hatte sich ja nichts verändert; das Einzige, was anders war, bestand darin: Wallace hatte den „Darwinismus“ (vielleicht sollte man sogar „Walleceismus“ sagen) entdeckt und das Ganze zu Papier gebracht. – Jetzt aber kam es urplötzlich dazu, dass Darwin die Evolutionsthesen veröffentlichte, und dabei wenigstens der Name von Wallace mit genannt wurde.
Es wird wohl immer eine „Glaubensfrage“ bleiben, welcher Anteil am Darwinismus Charles Darwin und welcher Anteil Alfred Russel Wallace zukam. Aber eines wird kaum bestritten werden können: So wie einst Cäsar nicht alleine Gallien eroberte, sondern wenigstens sprichwörtlich einen Koch dabei hatte, so hatte Charles Darwin nicht allein die Evolutionstheorie entwickelt. Im gleichen Atemzuge müssten auch Wallace, Gould, Mantell, Lyell, de la Beche und viele andere genannt werden. – Als versuchte Rehabilitierung habe ich übrigens auch eines von Wallace’ Werken vor einigen Jahren in meinem Verlag ebenfalls neu veröffentlicht.
F ü r m i c h – aber das ist eben nur eine m.E. p l a u s i b l e These – ist klar: Erst nach dem Lesen von Wallace’ Werk fiel es Darwin wie Schuppen von den Augen und erst j e t z t erkannte er die Bedeutung der „Darwin-Finken“ für die Evolutionslehre.
Und b l e i b e n wir ruhig bei m.E. nahe liegenden Hypothesen: Schauen Sie sich hier einmal die Abbildung der Darwin-Finken von den Galapagos-Inseln an und hier meinen heimischen Kernbeißer, den Fichtenkreuzschnabel und den Grünfinken auf der Abbildung:
Statt aufgrund der Darwin-Finken von den Galapagos-Inseln hätte man beim Studium unseres Kernbeißers, des Grünfinken und des Kreuzschnabels auch bei uns vor der Haustüre statt fernab von hier der Evolution auf die Spur kommen können…
Wenn man also mit offenen Augen durchs Leben geht, dann muss man gar nicht weit verreisen: Man kann hoch spannende Entdeckungen auch zu Hause machen, auch auf Nordstrand – und beispielsweise auch in diesem kleinen Museum; und wenn Sie das mit einer kleinen Spende unterstützen würden, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar; um weitere spannende Ausstellungsstücke beschaffen zu können… Und dann besuchen Sie mich vielleicht eines Tages hier wieder. So wissen ja: „…Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…“ – Dieser bewusst etwas märchenhafte Schluss ganz bewusst für alle, die das, was ich gerade erzählt habe, nicht ,einfach so’ glauben wollen: Der Besuch in diesem Museum und auch Vorträge wie dieser haben ja vor allem ein Ziel: Das Interesse an Natur und Geschichte zu wecken und sich dann selbst mit diesen Themen näher zu befassen.